Alles fing mit Bobby an ...
... der im Sommer 1983 mich abends auf seiner Yamaha abholte. Bobby war ein Klassenkamerad aus meinem Dorf und wir fuhren zu unser Stamm-Disco in Oberlauringen. Da ich ja nur Beifahrer war, mußte ich mich mit dem Trinken nicht zurückhalten und so waren vier Weizenbier schnell weg. Irgendwann stolperte Bobby beim Tanzen , fiel in ein Cola-Glas am Rande der Tanzfläche und schnitt sich am Handgelenk auf. Es blutete ziemlich, sah mit dem dicken weißen Verband anschließend schlimmer aus als es war. Was nun, wie nach Hause kommen? Bobby konnte bei anderen im Auto mitfahren, aber seine Maschine? Wieder hatte mein Kumpel die zündende Idee: ICH sollte sein Motorrad überführen. Zwar gab es drei kleine Probleme: erstens hatte ich noch nie ein Motorrad gefahren, zweitens besaß ich keinen passenden Führerschein, drittens hatte ich deutlich mehr als die erlaubten 0,8 Promille. Aber wir waren junge Männer und fanden für alles eine Lösung. Also gab mein Freund mir eine Einweisung auf dem Parkplatz der Disco und das Abenteuer begann. Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Hause kam, aber ich schaffte es irgendwie. Kurz darauf meldete ich mich in der lokalen Fahrschule von Horst "Lupper" Ludwig an und machte im Winter meine Ausbildung zum 1er, wie damals der Motorradführerschein genannt wurde. Am 02. Januar 1984 bestand ich auf Anhieb die Prüfung.
Da ich von Motorrädern keine Ahnung hatte, ließ ich mich von einem Studienkameraden an der Universität der Bundeswehr in München überreden, eine BMW zu kaufen. Damals gab es weder Internet noch Handys, wir suchten also in einer Münchner Zeitung, fanden eine BMW R 45, vereinbarten per Festnetztelefon einen Termin. Solch eine spießige Wohnung habe ich nie wieder gesehen, aber die Boxer-Maschine war dafür top gepflegt. Meine "Gummikuh" war braun, hatte 27 PS und ein sehr hohen Windschild. Gutmütig und ideal für einen Neuling.
Ein paar Jahre später wollte ich was Größeres und wechselte auf eine R65LS, natürlich wieder BMW. Die hatte mit 50 PS fast doppelt so Leistung. Am liebsten unternahm ich am Wochenende, wo meine Maschine bei meinen Eltern stand, stundenweise Motorradausflüge im Grabfeld rund um meinen Heimatort und besonders in die Haßberge. Ich bezeichne mich als "Motorrad-Wanderer", genoß das Tuckern über Landstraßen, den Temperaturwechsel wenn man vom Feld in ein Dorf rollt oder wenn die Landschaft von Wiese zu Getreideacker wechselt. Gerne saß ich oberhalb von Königsberg in Unterfranken am Straßenrand, schaute Richtung Westen und meine fränkische Heimat in der Abendsonne. Andere fuhren Motorrad, weil es weniger Versicherung kostet, weniger Sprit braucht, man leichter einen Parkplatz findet oder im Berufsverkehr schneller vorankommt. Spielte bei mir nie eine Rolle. Ich fuhr und fahre Motorrad aus Freude am Fahren! Aus Freude an meiner deutschen Heimat. Die erlebt man bei geöffnetem Visier ganz anders als in einem Auto. Bei einer Fahrt mit dem Auto von A nach B ist B das Ziel. Bei einer Fahrt mit dem Motorrad von A nach B ist die Fahrt das Ziel.
In diesem Haus in Oberfranken erblickte mein Vater 1920 das Licht der Welt.
Ausflug mit Ulrich.
Ursula und Lukas als Baby auf meiner K100.
Als ich 1988 nach USA versetzt wurde, nahm ich meinen Motorradhelm zwar mit (die Bundeswehr zahlte ja den Umzug), nutzte ihn aber kein einziges Mal. Ehrlich gesagt, reizt mich das Motorradfahren in Texas auch überhaupt nicht. Nach der Rückkehr 1989 nach Deutschland verkaufte ich den luftgekühlten Boxer und holte eine - sowohl für BMW als Hersteller als auch für mich als Fahrer - völlig neue Generation von Motorrad: eine blaue K100RS, also einen wassergekühlten Reihenmotor mit 4 Zylindern. Das war eine klasse Maschine! Weil in Motorradzeitschriften Schweden oft als Traumziel geschildert wurde, besuchte ich ein Pastoren-Ehepaar in Stockholm. Der Aufenthalt bei den Lofströms war schön, die Motorradtour nicht. Ich kann nicht nachvollziehen, was andere Biker an Schweden so reizvoll finden. Landschaft in Südschweden flach, Geschwindigkeit stärker beschränkt als hier, meist geradeaus und wenn endlich mal eine Kurve, dann scheinbar grundlos und rechtwinklig - okay, alles wohl etwas übertrieben negativ dargestellt, aber mir machte Schweden keinen (Fahr-)Spaß. Dafür die Nachmittagsausflüge von meinem nun neuen Wohnort Offenbach aus in den Spessart umso mehr. Über Hörstein Richtung Mömbris und dann "immer der Nase nach" ... war ich letztes mal an einer Gabelung links gefahren, dann heute rechts.
Doch 1995 war Schluß. Ich hatte einfach keine Lust mehr. Wetter war schön, hatte Zeit, alles paßte ... doch ich fuhr einfach nicht weg. Am Ende des Sommers war ich lächerliche 400 km gefahren. In einer kompletten Saison! Also setzte ich die K100 konsequenterweise in die Zeitung und verkaufte sie einem anderen jungen Familienvater.
Dann war für 27 Jahre Ruhe.
Erste Ausfahrt am 28.09.2022 zur Neunkirchner Höhe im Odenwald.
Als im Sommer 2022 der Umzug unserer Christengemeinde in die Sprendlinger Landstraße anstand, überlegte ich mir, ein Mofa zu holen, um bei Bedarf mal schnell dorthin zu kommen, wenn Ursula nicht mit mußte/wollte oder sie das Auto brauchte. Doch ein Mofa mit 25 km/h ist ein Verkehrshindernis. Also ein Moped ... auch zu schwach. Dann eine 50er ... 80er? Wenn, dann eine top restaurierte Maschine, denn zum monatelangem Basteln hatte ich weder Zeit noch Lust. Eine schöne Herkules oder Zündapp. Zu meiner Überraschung stellte ich fest, daß unter ein paar tausend Euro da gar nichts geht. Na gut, dachte ich mir, dann kann ich gleich ein "richtiges" Motorrad nehmen, den passenden Führerschein habe ich ja noch. Schnell e entdeckte ich meine alte Vorliebe für BMW wieder, da gab es inzwischen Modelle, von denen ich gar nichts wußte. Zum Beispiel die F-Serie mit Einzylinder, klein und leicht, ideal für die Stadt. Ich verguckte mich in eine F650S in der Farbe orange. Kontakt mit einem Händler in Schweinfurt aufgenommen und hingefahren mit dem festen Entschluß, diese Maschine zu kaufen. Bei der Probefahrt dann die Ernüchterung: so ein Einzylinder ist nichts für mich, viel zu ruppig. Außerdem erschrak ich über mich selbst, wie unsicher ich auf zwei motorisierten Rädern unterwegs war. Bin ich zu alt fürs Motorradfahren? Einige Tage später kam ich während des Krafttrainings im Kieser-Studio mit der Trainerin Simone auf das Thema. Sie schlug ein paar Übungsstunden in einer Fahrschule vor. Gute Idee! Am selben Tag noch fragte ich erst in der Luisenstraße nach, doch dort sagte man wörtlich, daß "man so etwas nicht so gerne mache" und außerdem erst einen Monat später Zeit hätte. Alles klar. Also zur nächsten Fahrschule, diesmal MOON in der Frankfurter Straße. Die junge Dame hinter dem Computer verstand überhaupt nicht mein Anliegen, erzählte was von Prüfung und Theoriematerial. Zum Glück kam aber gerade der Inhaber von einer Fahrstunde zurück. Volltreffer! Er sei begeisterter Motorradfahrer, hat gleich 5 Maschinen rumstehen, und verstand sofort meine Situation. Leider fliegt er in drei Tagen in Urlaub und vorher ist alles ausgebucht. Schade. Doch dann instruierte er seine junge Büroangestellte, einen anderen Kunden zu verschieben und bot mir kurzfristig zwei Übungsstunden an! Super! Er fuhr auf einem Motorrad voraus, ich auf einem anderen hinterher. Anschließend meinte er ermutigend, daß er keine Bedenken hätte. Daß ich mich so unsicher fühle, würde sich mit der Zeit legen. Ich bräuchte nur wieder mehr Praxis.
Beim Recherchieren im Internet auf das BMW Modell K1200RS gestoßen. Besonders die Variante in gelb mit Rennflaggen-Muster gefiel mir. In Bad Vilbel eine Probe gefahren, aber der Verkäufer wollte sie dann doch behalten. Anschließend auf das Nachfolgemodell K1200S aufmerksam geworden. Etwas jüngerer Bauzeitraum, noch mehr Leistung. Beim Motorradhändler Rösner+Rose in Eppertshausen eine angeschaut. Tolles Design in gelb mit schwarzen Streifen (oder doch schwarz mit gelben Streifen?). Nochmal hin und gefahren. Wow! Wie leicht die sich lenken läßt! Gekauft!
In den darauffolgenden Tagen erneut Zweifel : soll ich wirklich das Motorradfahren anfangen? Grund sind die Sorgen meiner geliebten Frau. Ursula hat Angst um mich. Seitdem fahre ich recht selten, einmal alle 10 Tage im Schnitt. Und sehr vorsichtig, gehe kein Risiko ein. Aber es ist einfach schön. Raus aus der Stadt, über Landstraßen im Spessart oder Odenwald. Herrlich!
Einfach mal zwei, drei Stunden raus aus der Großstadt, auf dem Motorrad eine andere Welt besuchen ...